Zehn goldene Regeln
Einem jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrieben
  1. Bedenke, daß du nicht zu deinem Vergnügen musizierst, sondern zur Freude deiner Zuhörer.
  2. Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warm werden.
  3. Dirigiere "Salome" und "Elektra" als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik.
  4. Schau niemals aufmunternd das Blech an, außer mit einem kurzen Blick, um einen wichtigen Einsatz zu geben.
  5. Dagegen lasse niemals Hörner und Holzbläser aus dem Auge: wenn du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu stark.
  6. Wenn Du glaubst, das Blech blase nicht stark genug, so dämpfe es nochmals um zwei Grade ab.
  7. Es genügt nicht, daß du jedes Wort des Sängers, das du auswendig weißt, selber hörest, das Publikum muß mühelos folgen können. Versteht es keinen Text, so schläft es.
  8. Begleite den Sänger stets so, daß er ohne Anstrengung singen kann.
  9. Wenn du glaubst, das äußerste Prestissimo erreicht zu haben, so nimm das Tempo noch einmal so schnell.
  10. Wenn Du dies alles freundlich bedenkst, wirst du bei deiner schönen Begabung und deinem großen Können stets das ungetrübte Entzücken deiner Hörer sein.

Richard Strauss (1925)